Tag 10: Weiter nach Wolgograd

Jetzt wird’s mal kurz hymnisch: Weil 2016 die Reise im Hamburger Hotel „Atlantic“ startete, wo ja bekanntlich Udo Lindenberg wohnt, wurde sein Lied „Hinterm Horizont geht’s weiter“ zur Hymne der Reise erklärt. Eigentlich sollte sie mindestens einmal täglich gesungen werden. Wir sind ja mit zwei Bussen unterwegs, Team Hamburg (das sind wir) und Team Shanghai. Im anderen Bus ist der Reiseleiter eher der Typ Animateur, da wird fleißig geübt. Unser Reiseleiter hat Geografie studiert und hält uns über Feldspat, Quarz und Glimmer auf dem Laufenden – Entertainment ist nicht so sein Ding. Was den Chefbusfahrer, der immer zwischen den Fahrzeugen wechselt, zu der Bemerkung veranlasst, in unserem Bus müsse viel mehr Schnaps getrunken werden. Bei uns sei ja nur Wasser im Kühlschrank – das habe im anderen Bus gar keinen Platz mehr. Zur Abschlussveranstaltung in Shanghai werden die anderen schmettern, während wir gnadenlos untergehen.
Okay, nun zur Route: Wir sind in Woronesch, einer Millionenstadt im Süden Russlands, aufgebrochen und fahren Richtung Wolgograd (früher Stalingrad). 580 Kilometer liegen heute vor uns. Bei den Busfahrten bekommt man zumindest eine Ahnung davon, wie riesig dieses Land ist. Es geht kilometerweit durch unbewohnte, weite Landschaften mit viel Birkenwald und riesigen Ackerflächen.
Heute sitzt Michael Thumann bei uns im Bus, außenpolitischer Reporter der Zeit, der lange Korrespondent in Moskau war und viel in vertraulichen Gesprächsrunden sitzt. Er vermittelt uns heute vormittag ein sehr anschauliches Bild davon, wie Putin tickt. Man lernt so unwahrscheinlich viel auf dieser Reise und da sitzen wirklich Experten neben dir, die kannst du einfach fragen, wie das so läuft in diesen Ländern, was die Miete kostet, wer hier reich wird und warum… Es ist echt spannend, wenn man sich dafür interessiert. Wir genießen das beide sehr.

Unser Restaurant im Wald

Mittagessen wieder typisch russisch und reichlich in einem Restaurant am Rand der Schnellstraße. Die Toiletten sind sehr gewöhnungsbedürftig, und der Ausflug ins Gebüsch endet mit einer dicken Lehmschicht unter den Schuhen. Doch das ist ein kleines Problem im Vergleich zu dem, was uns später an einer Kontrollstation der Polizei erwartet. Nur 25 Kilometer vor wolgograd werden wir dort um 19 Uhr gestoppt. Perfekt, denken wir, denn unser heutiger Busfahrer Markus muss ohnehin eine halbe Stunde pausieren.

Die Pause dauert allerdings bis 22 Uhr, weil ein Kontrolleur der Transportbehörde in einem der vielen Dokumente eine Zahl vermisst und auch nicht zuässt, dass der Chef der Busfirma die Zahl einträgt. Er verlangt ein neues Dokument aus Deutschland, dessen Ausstellung normalerweise Monate dauert. So lange soll der Bus dort stehen bleiben und der Busfahrer außerdem 6000 Euro Strafe zahlen. Unsere Begleiter setzen alle Hebel in Bewegung, Deutsche Botschaft und den Bürgermeister der Millionenstadt Wolgograd. Schlielich erscheint der Regionalchef der Transportbehörde vor Ort, scheißt seinen Mitarbeiter zusammen und läßt die Zahl nachtragen, Damit das Gesicht gewahrt wird, sind 1600 Euro Strafe fällig und Busfahrer Markus gilt in Russland als vorbestraft. Erst kurz vor Mitternacht sind wir im Hotel, denn in der Stadt herrscht am Freitagabend dicker Verkehr. Der andere Bus war deutlich vor uns da. Von uns vorgewarnt wurde die fehlende Zahl eingetragen und die Kontrolleure hatten keine Beanstandung.

Als wir endlich Wolgograd erreichen, fängt es auch noch an zu regnen.

Dass unser Koffer nicht mehr aufgetaucht ist, wirkt dagegen eher nebensächlich. Das wird uns morgen ein ganz neues Shoppinggefühl vermitteln, wenn wir, statt zur Statue von Mutter Heimat zu fahren, ein Kaufhaus suchen, um uns mit ein paar wichtigen Sachen einzudecken. Klaus kramt sein rudimentäres Russisch raus und dann schauen wir mal, was wir mit heimbringen. In dem Koffer waren auch unsere guten Klamotten für die feierlichen Empfänge. Man hat uns aber zugesagt, wir können auch so kommen, wie wir sind, man steckt uns dann in die dunkelste Ecke. Da müssen wir dann nicht mit aufs Foto, das hat was.

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